Überall wird das Hohelied der Vorteile der Digitalisierung gesungen und die Startup-Kultur über den grünen Klee gelobt. Nicht so gern spricht man dagegen über die sozialen Auswirkungen dieser Art des Wirtschaftens. Genau mit diesen beschäftigt sich der angesehene Journalist Steven Hill in seinem Paperback „Die Startup-Illusion. Wie die Internet-Ökonomie unseren Sozialstaat ruiniert“. Dabei ist der Mann kein Computer-Gegner, es fällt ihm nur auf, dass Plattformen wie Uber und Airbnb neben einer ganzen Menge neuer, günstiger Dienstleistungsangebote auch unliebsame Nebenwirkungen erzeugen. Beispielsweise die komplette Verlagerung des Risikos auf den individuellen Serviceanbieter, die Absenkung vorhandener Preisstrukturen, verstärkter Wettbewerb auf kommunalen Wohnungsmörkten gerade beliebter Tourismus-Ziele, wenn ganze Wohnungen an Touristen vermietet werden, eine Profithäufung beim Plattformbetreiber ohne die Bereitschaft, sich an bestehende Regeln der Ökonomien und Sozialsysteme, in denen man sich ausbreitet, zu halten. Das Ganze läuft unter dem Stichwort Disruption und wird in der Regel bejubelt.
Hill rät Deutschland jedoch, sich nicht auf Disruption in diesem Sinne und eine Startup-Ökonomie nach amerikanischem Muster zu verlassen. Er rät vielmehr, den Versuch zu unternehmen, die Stärken der „alten“ Ökonomie, für die in Deutschland der sprichwörtliche mittelständische Weltmarktführer mit einem sehr spezifischen Wissen und Produkten auf einem ganz bestimmten, eng abgegrenzten Gebiet steht, mit der neuen Ökonomie zu verbinden, indem Startups und mittelständische Firmenkultur durch Kooperationen miteinander interagieren.
Im Gegensatz zu vielen, die das deutsche Sozialsystem am liebsten in Grund und Boden stampfen oder zumindest bis zur Unkenntlichkeit zusammenstreichen würden, sieht er darin sogar innovative Elemente, die dazu taugen, die Härten der um sich greifenden untypischen Arbeitsformen wie Clickwork, Solo-Selbständigkeit und Ähnliches abzufedern, ohne Märkte überzuregulieren.
Seine bemerkenswerte Idee: Den Mechanismus der Künstlersozialversicherung, der Kreativen eine Rente sichert, auf möglichst viele dieser neuartigen Beschäftigungsformen ausdehnen. Die Beiträge zur KSK (Künstlersozialkasse) leisten zur Hälfte von dem Kreativen selbst, zu einem Teil über den als fixen Prozentsatz auf den Rechnungsbetrag erhobenen Beitrag die Auftraggebers und zum Teil der Staat als Zuschuss. Mit einem ähnlichen Modell – ohne den Staatszuschuss – so meint er, sei dafür gesorgt, dass diejenigen, die Menschen in neuen, durch die Digitale Transformation beförderten Arbeitsformen beschäftigen, sich nicht ihrer sozialen Verantwortung entziehen können. Vielmehr trügen sie so dazu bei, die sozialen Sicherungssysteme und den sozialen Frieden zu erhalten, ohne dass gleichzeitig die Flexibilität derartiger Arbeitsverhältnisse eingeschränkt würde. Den staatlichen Zuschuss würde Hill weglassen, um dem Vorwurf zu entgehen, die Lösung blähe das Staatbudget auf, so dass diese Sicherung noch immer ein ganzes Stück schlechter ausfiele als die von Festangestellten. Nur schade, dass sich Teile der deutschen Medienbranche ganz im Gegenteil seit Jahren mit Händen und Füßen schon gegen die Künstlersozialversicherung heutiger Prägung wehren. Ihre Ausweitung dürfte eine neue Phase des Intensiv-Anti-Lobbyings aus der Internet-Ökonomie uns seitens anderer interessierter Kreise auslösen. Aber interessant ist die Idee auf jeden Fall.
Schließlich bringt Hill auch Beispiele dafür, wie sich Menschen, die in untypischen Arbeitsverhältnissen ihr Geld verdienen, in anderen Ländern zusammenschließen – etwa in genossenschaftsähnlichen Strukturen. Insgesamt ein Buch, das wach macht und auch wenn man dem Autor vielleicht nicht in jedem Detail zustimmt doch dazu anregt, sich seine eigenen Gedanken zu dem Thema zu machen.
Bibliographie: Steven Hill: Die Start-up Illusion. Wie die Internet-Ökonomie unseren Sozialstaat ruiniert. Reihe Knaur Klartext. Paperback, 271 Seiten, Knaur-Verlag, München, 2017. ISBN978-3-426-78902-5, 14,99 €