Der Klimawandel muss gestoppt werden. Da sind sich alle einig. Nur beim Wie gehen die Meinungen doch sehr auseinander. Während die einen glauben, man könne sich durch Dematerialisierung und Digitaliserung aus der Klimawandelfalle irgendwie herauswachsen, meinen andere, dass wir um ein grundsätzliches Umsteuern nicht herumkommen. Und also ein neues, nicht wachstumsabhängiges Wirtschaftsmodell brauchen.
Zur zweiten Gruppe gehört Ulrike Herrmann, taz-Wirtschaftsredakteurin. Ihr ist mit ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ nicht zum ersten Mal ein Bestseller gelungen. Herrmann leitet das aus ihrer Sicht unvermeidliche Ende des wachstumsabhängigen kapitalistischen Wirtschaftsmodells mit weitem historischen Blick her.
Ihr Buch beginnt im England des 18. Jahrhunderts, als die Industrialisierung begann. Anders als viele sieht sie die Industrialisierung nicht als Motor des Reichtums, sondern als seine Auswirkung. Die Arbeiterschaft habe in England damals insbesondere in der Textilindustrie bereits so viel Lohn bekommen, dass es sich gelohnt habe, in Maschinen zu investieren, um menschliche Arbeit zu ersetzen.
Dann erklärt Herrmann die Bedeutung der fossilen Energien als Booster weiteren wirtschaftlichen Wachstums. Der Durchbruch für Kohle und Dampf zeichnete sich vor allem mit der Erfindung der durch Dampfloks betriebenen Eisenbahnen ab. Der Druck durch die Überlegenheit der britischen Wirtschaft, die als erstes industrialisierte und damit Handarbeit überflüssig machte, zwang andere Länder nachzuziehen – Deutschland tat dies erst in den 60ern des 20. Jahrhunderts, berichtet Herrmann.
Den Sklavenhandel sieht Herrmann eher als Hemmschuh wirtschaftlicher Entwicklung denn als fördernden Faktor und belegt das mit Daten aus den USA. Kolonialismus einschließlich des deutschen war also schon aus dieser Perspektive unsinnig genau wie Krieg.
Die Länder des globalen Südens dagegen kämen auf keinen grünen Zweig, weil Unternehmen dort schlicht die Finanzen für die Industrialsierung fehlten. Solange der Staat nicht eingreife und die Industrialisierung unterstütze, habe deshalb ein südliches Land keine Chance, eine eigene Industrie zu entwickeln. Das Beispiel China spricht für diese These, obwohl China natürlich im Osten liegt.
Dann erklärt Herrmann das Hamsterrad zwischen verzinsten Krediten, Profiterwartungen und Investitionen. Aus ihm ergibt sich der Wachstumszwang des Kapitalismus: Denn Kredit bedeutet automatisch Geldschöpfung, denn Banken vergeben mehr Buchgeld als Kredit als als Sicherheit in ihren Tresoren ruht. Wer aber einen Kredit mit Zinsen aufnimmt, was also frisches Geld bedeutet, muss dafür Waren und Dienstleistungen generieren, die am Ende etwas mehr abwerfen als Kredit und Zinsen zusammen, um überhaupt einen Profit zu machen, von dem es sich auskömmlich leben und investieren lässt. Um zu investieren, geht das Unternehmen wieder zur Bank, um seine Eigenmittel durch einen weiteren Kredit zu vergrößern. Und schon dreht sich die ewige Wachstumsspirale. Steht sie still, stockt das gesamte Wirtschaftsgefüge. Weil immer neue Waren und Dienstleistungen immer mehr Natur verschlängen, fresse der Mensch im Kapitalismus, so Herrmann, unweigerlich seine natürlichen Grundlagen auf.
Wie könnte die Lösung aussehen? Der Technik vertraut Herrmann nicht: Die Rohstoffe seien zu knapp, Erneuerbare Energien und vor allem Energiespeicher zu teuer und so weiter. Absehbar könne deshalb die Nutzung Erneuerbarer niemals wieder zu einer Situation des Energieüberflusses führen, wie sie die derzeit lebenden Generationen in den Industrieländern weitgehend für selbstverständlich halten. Grünes Wachstum, also solches ohne weitere Umweltzerstörung, gebe es deshalb nicht.
Was aber dann? Herrmann schlägt ein Modell vor, das der britischen Kriegswirtschaft nachempfunden ist. Geplant wurde damals, was und wie viel produziert werden sollte sowie wie viele Kalorien unabhängig vom sozialen Stand jedem zustanden. Wie die Produktion vonstattenging, war den Unternehmen überlassen. Durch seine soziale Gerechtigkeit habe dieses Modell die britische Bevölkerung sehr zufriedengestellt: Jeder hatte genug zu essen, auch diejenigen, die unter normalen Umständen eher schlecht genährt waren. Aber es gab keinen Überfluss an Gütern.
Allerdings scheint es mir vermessen zu glauben, dass dieses Modell sich hätte etablieren lassen, hätte man so nicht einen Krieg gewinnen wollen, sondern einen potentiellen Dauerzustand etabliert. Insofern lässt sich nur darüber spekulieren, ob ein solches Modell als Alternative zum jetzigen Wirtschaften praktikabel wäre. Zudem, so fordert Herrmann (und ist damit längst nicht mehr allein) sollen südliche Länder von den enwickelten Ökonomien, also den Industriegesellschaften, finanziell entschädigt werden, da diese am meisten unter dem Klimawandel leiden, aber am wenigsten dazu beigetragen haben und ihre Ressourcen die durchgreifende Industrialisierung erst möglich machten und machen. Außerdem sollen sie Umweltressourcen wie Wälder bewahren, die sie sonst für eigene wirtschaftliche Zwecke verwenden könnten.
Herrmann sieht als ersten Ansatzpunkt in Richtung eines Modells á la britische Kriegswirtschaft den Handel mit den allmählich verknappten Kohlendioxid-Zertifikaten. Er sei ein Einstieg in die staatliche Aufteilung der Umweltressourcen. Ob das zutrifft wird sich zeigen.

Unheimliches aus Nachkriegsdeutschland

Das zweite Buch, mit dem ich mich im Februar befassen möchte, hat mit einer anderen Wirtschaft nur indirekt zu tun. Wohl aber mit dem Mindset, das Deutschland sein Wirtschaftswunder nach dem zweiten Weltkrieg ermöglicht haben mag. Und dieses Mindset hatte, so jedenfalls die Historikerin Monica Black, noch weitaus unheimlichere Komponenten als unermüdliches Arbeiten, um sich – Augen zu und durch – aus Schmach und Schande herauszuwirtschaften.
Nämlich einen Hang zum Unheimlichen, Geisterhaften, zu Hexenprozessen und Wunderheilern, die sich eines geradezu unglaublichen Zustroms erfreuten – Phänomene, die heute möglicherweise in Gestalt von Querdenkern und anderen Verschwörungsschwurblern wieder auftauchen.
Black geht dem Faible für Wunderheiler und Hexerei anhand mehrerer gut dokumentierter Fälle aus den späten 40er und frühen 50er Jahren nach. Sie gräbt tief in den Archiven der Staatsanwaltschaft und der betreffenden Regionen. Exemplarisch gründlich und detailtief behandelt sie den Fall Bruno Gröning.
Gröning, davor eher unauffällig, heilte (oder versuchte es) durch „Besprechen“ vor allem Lähmungen und Ausfälle von Sinnesorganen ohne klare Ursache, die wohl teilweise psychosomatisch zu verorten waren. In den Hochzeiten seines Ruhms 1949 und 1950 strömten Tausende dorthin, wo er sich gerade aufhielt, um von ihm geheilt zu werden und verursachten Chaos, das Medien zum Berichten brachte und Ordnungsbehörden zum Eingreifen nötigte. Gleichzeitig verlangte Gröning von den Menschen, „gut“ zu sein. Er behauptete, sehen zu können, ob Menschen „böse“ seien und sagte, er könne böse Menschen nicht heilen.
Ob und wie viele Menschen er nun tatsächlich heilte, ist der Autorin nicht wichtig. Ihr geht es in diesem und anderen von ihr aufgegriffenen Fällen darum zu zeigen, auf welchem mentalen Boden der Glaube an bösartige Hexen (Gröning: „böse Leute“), Wunderheiler und ähnliche Phänomene sowie das Böse an sich nach Zweitem Weltkrieg und Drittem Reich zustande kam. Immerhin erlebte das junge Nachkriegsdeutschland bis zu 70 Hexenprozesse, bei denen sich Menschen dagegen wehrten, von anderen als „Hexen“ oder „Hexer“ verunglimpft zu werden – mit teils erheblichen sozialen Folgen.
Black macht als Ursache das allgemeine Schweigen über den Holocaust und andere von Deutschen begangene Kriegsgräuel aus und das individuelle und kollektive Wegsehen. Das enge Nachkriegs-Zusammenleben zwischen ehemaligen Tätern und Opfern, oft ohne Gerechtigkeit und Sühne war daher mit erheblichen Spannungen verbunden. Die einen hatten Angst, zur Verantwortung gezogen zu werden und hofften auf Vergebung, die anderen übten oft genug in irgeneiner Form Rache. Diese unausgesprochenen Spannungen, das allgemeine Wissen um das Schreckliche im Dritten Reich und das gleichzeitige weitverbreitete Schweigen darüber seien die tieferen Gründe für Hexenwahn auf der einen und Wunderglauben auf der anderen Seite.
Das Buch liest sich spannend und manchmal wie ein Schauerroman, nur dass er von der bundesdeutschen Realität der 50er handelt. Gleichzeitig ermöglicht er, Parallelen zu den gegenwärtigen Aufwallungen von Irrationalismus zu ziehen. Es lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass deren Auftauchen oft mit ungelösten und nicht ausreichend berücksichtigten sozialen, politischen und gesellschaftlichen Spannungen zu tun hat, die nach Beachtung schreien. Insofern mahnt die Lektüre dazu, sich auch hierzulande beispielsweise der Spaltung zwischen Ost und West und zwischen Arm und Reich intensiver anzunehmen, um so vielleicht dem rationalen Denken und Handeln wieder bessere Chancen zu eröffnen.

Bibliographie:
Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. Gebunden, 340 Seiten, Kiepenheuer&Witsch, 5. Auflage 2022. ISBN 978-3-462-00255-3, 24 Euro.
Monica Black: Deutsche Dämonen. Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland. Klett-Cotta, München, 2023. Gebunden, einige S/W-Fotografien, 423 Seiten. ISBN 978-3-608-98415, 26 Euro.